Epidemisch
Wie zwei Epidemien den Gott Merkur gleich doppelt aus der Hansestadt Hamburg vertrieben
Im Herbst 2016 gewann ich den Wettbewerb zu einer doppelten Brunnenanlage für einen der zentralsten Plätze Hamburgs. Von Umfang und Bedeutung war dieser Wettbewerb einer wichtigsten und größten die ich je gemacht hatte und umso glücklicher war ich diesen gewonnen zu haben.
Das ich dieses Projekt erst jetzt auf meiner Homepage vorstelle hat Gründe gehabt, die nun nicht mehr berücksichtig werden müssen.
Ich hatte mich für diesen Wettbewerb stark engagiert, denn die Ausschreibung hatte für einen Bildhauer wie mich etwas episches. Eine derart große Lösung auf einem zentralen Platz einer der schönsten Städte Deutschlands, zumal als Doppelbrunnen gefordert, war eine Herausforderung, wie sie nur einmal im Leben passiert.
Zu diesem Wettbewerb gab es eine lange Vorgeschichte in Hamburg.
Am Ende des 19. Jahrhunderts wollten die Hamburger Kaufleute der Stadt einen dem Merkur gewidmeten Brunnen schenken, so wie es sich für eine reiche Hansestadt geziemte. Der Brunnen sollte im Innenhof des Rathauses stehen und wurde vom Bildhauer Joseph von Kramer entworfen. Es kam jedoch nie zu diesem Merkurbrunnen, denn 1892 wütete eine Cholera Epidemie in der Hansestadt und ließ dieses Projekt pietätlos wirken. Kurzerhand entschloß man sich den Brunnen der Hygieia zu widmen und so verschwand der Merkur, den es nur als Zeichnung gab, in den Schubladen.
2014 entschloss sich die Handelskammer nun endlich wieder den Merkur aus der besagten Lade zu ziehen und ihn zentral in die Stadt zu stellen. Damals berichteten die Hamburger Medien über dieses Vorhaben.
Da der Innenhof des Rathauses inzwischen durch die Hygieia besetzt war fasste man den kühnen Plan vor der Handelskammer symmetrisch zwei Brunnen auf den Adolphsplatz zu stellen. Bei diesem Plan stand der damalige Stadtbaurat Prof. Walter Pate. Als zweite mythologische Figur wollte man Neptun, passend zur Seelage der Hansestadt, gesellen.
Es wurde ein Wettbewerb ausgerufen, zu dem auch ich eingeladen wurde. Ausgeschrieben war eine doppelte Brunnenanlage rechts und links gegenüber des Hauptportals. Der Merkur sollte eine „Rekonstruktion“ sein, der Neptun war freigestellt in seiner Formensprache.
Über die Ausschreibung hatte ich mich hinweggesetzt, denn eine Replik des historischen Merkur von Krammer hielt ich für unseriös. Es existierte nur eine kleine Zeichnung die unmöglich eine originale Interpretation der Plastik erlaubte. Die Handelskammer verschenkte diesen Merkur in kleiner Ausführung aus Plastik, die Modellierung dieser kleinen Figur war der Zeichnung angelehnt und furchtbar dilettantisch ausgeführt.
So modellierte ich eine eigene Variante des Merkur, in der Silhouette des historischen Merkurs. Allerdings habe ich aus dem Merkur einen modernen Fahrradkurier gemacht, als zeitgenössisches Symbol des Handelsgottes und Referenz für das Treiben von der Handelskammer. So habe ich beide Plastiken, den Neptun und den Merkur frei modelliert. Für die Städtebauliche Integration der zu erfindenden Brunnenform nahm ich mir ausgesprochen viel Zeit, denn eine freie große Stadtbrunnenanlage hat Hamburg im eigentlichen Sinne bis heute nicht. Allein in der Mönckebergstr. gibt es eine Brunnenecklösung. Insofern war die Aussicht auf eine Brunnenplatzanlage für die Hansestadt eine große Verheißung. Ich verstand dieses Konzept als eine einmalige städtebauliche Chance für Hamburg.
Da Hamburg weit nördlich liegt würden dort Brunnen ca. 6 Monate im Jahr ohne Wasser leer stehen. Ein Gesichtspunkt den ich mir in der Erfindung des Wasserspiels zu eigen macht. Durch diese Entdeckung erfand ich Brunnentypen, die auch ohne Wasser den Platz gestalten, ohne offensichtlich leer zu stehen.
Dieses Konzept überzeugte die Jury unter dem Vorsitz von Stadtbaurat Prof. Walter und gab Ausschlag für die Prämierung mit dem 1. Preis.
So wurde ich im besagten Herbst 2016 nach Hamburg eingeladen zu einer feierlichen Sitzung unter Teilnahme des Stadtbaurat Prof. Walter, der Geschäftsführung der Handelskammer, eines bedeutenden Hamburger Reeders und Kunstmäzens und einigen Planern, sowie der Vertretung der Kulturbehörde. Mir wurde die Begründung meines ersten Preises erläutert. Danach begann schon die konkrete Planung zur Ausführung des Entwurfes. Prof. Walter bestätigte mir an meinem Städtebaumodell die Richtigkeit meiner Entscheidung. Danach wurde einer zweiter Termin abgemacht, bei dem mir dann die Vertragsunterschrift angekündigt wurde. Der besagte zweite Termin fand statt, diesmal mit den Landschaftsarchitekten als Partner, die in der Innenstadt die Stadtsanierung vorantrieben. Es wurde die unterirdische Verrohrung der Brunnen geplant, usw. Auf der Fahrt zu diesem Termin habe ich im Zug , in der Zeitung gelesen, dass der Handelskammer Wahlen bevorstanden. Hellhörig geworden recherchierte ich dazu mehr und entdeckte, dass eine Kampagne der sogenannten „Rebellen“ die Handelskammer neu zu besetzen plante und gute Wahlchancen hatte, denn sie operierte mit populistischen Argumenten. Es wurde den Wählern ein Erlass der notwendigen Beiträge versprochen und die Geschäftsführung wurde hart attackiert, weil man ihr Verschwendung und selbstherrliche Gehälter vorwarf.
So sprach ich bei der Sitzung meine Sorgen an, dass ein Wahlsieg der „Rebellen“ unser Projekt bedrohen könnte, zumal ich schon für die Handelskammer arbeitete, ohne jedoch einen Vertrag zu haben und vergütet zu werden. Meine Sorgen wurden weggelacht, es schien ganz undenkbar, dass etwas dieses große Brunnenprojekt gefährden konnte. Sponsoren standen bereit und der Draht zur Stadtregierung war kurz… so meinte man.
Nach dieser Sitzung schwieg die Leitung nach Hamburg plötzlich komplett. Nach einer Weile erfuhr ich aus dem Internet, dass die „Rebellenepidemie“ die alte Handelskammer mit einem Erdrutschsieg hinweggefegt hat. Meine Telefonanrufe in der Handelskammer brachten keine Antworten auf meine Fragen. Dort war man ganz mit sich und dem Verlassen des Schiffes beschäftigt. Man handelte die Abfindungen aus und vergaß völlig mich in Kenntnis zu setzen. Erst nach vielen Wochen des Drängens von meiner Seite erhielt ich schließlich einen Brief der Geschäftsführung, in dem mir mitgeteilt wurde, dass nun die Projektierung der Brunnen ruhen würde und ich mich anderen Arbeiten zuwenden könne.
So wurde der kühne Plan den Merkur nun endlich nach Hamburg zu bringen von einer zweiten Epidemie hinweggefegt. Die Geschäftsführung hatte die Brücke des Schiffes verlassen und ich als Passagier erfuhr so ziemlich als letzter davon.
So allein auf weiter See versuchten der Mäzen des Wettbewerbes und ich den Kahn wieder flott zu bekommen und mussten die Erfahrung machen, dass Sponsoren sehr scheue Rehe sind. Wenn nicht die schützende Hand eines wichtigen Politikers als Schirm über einem solchen Projekt schwebt, so wagt niemand seine Taler bereitzustellen, auch wenn es sich offensichtlich um eine wunderbare Chance handelt. Niemand möchte einen falschen Schritt machen und niemand wollte mit der alten Geschäftsleitung in Verbindung gesetzt werden.
Inzwischen ist auch die Rebellenwelle verebbt und die Handelskammer hat wieder eine neue Zusammensetzung, allein den Initiatoren dieser Idee fehlt inzwischen die Energie diesen kühnen Plan wieder zu beleben.
Für die Innenstadt handelt es sich um eine wunderbare Chance endlich einen sommerlichen Brunnenplatz mit attraktivem Wasserspiel zu erhalten. Das Rauschen des Wassers, die kühlen Wassernebel und die prachtvollen Brunnenfiguren Merkur und Neptun würden wie ein Magnet in der Innenstadt der stolzen Hansestadt (direkt vor der Handelskammer) wirken. Die Fahrradkuriere der Stadt hätten ihren bronzenen Patron an einem der geschäftigsten Orte der Handelsmetropole zu stehen. Dazu braucht es nur eine vergleichbar geringe Bausumme, denn die Beauftragung dieser zwei Brunnen ist im Vergleich zu den Bausummen die für Architektur aufgerufen werden nur ein kleiner Bruchteil davon. Die Wirkung wäre aber unschlagbar. Das zu erkennen ist eigentlich nicht schwer.
Die vergangenen Jahre verhielt ich mich also zurückhaltend mit einer Bekanntmachung dieses Projektes, da die Mäzen ein verschwiegenes Operieren bevorzugten. Als diese dann letztendlich auch ihre Segel strichen sah ich keinen Grund mehr diese Pläne im Bauch des Schiffes zu verstecken, dafür sind sie dann doch zu schön!
Constantin Weber, Bildhauer 04.09.2019