GIRO DI´BERGAMO, 22/05/17, Zeichenworkshop, 3. Tag, Piazza, Palazzo und Baum, vs. zeichnendes Prekariat
Wie auch gestern fertigte ich, bevor um 9:00 Uhr die Studenten kamen, eine Zeichnung für mich allein an. Für den heutigen Tag standen komplexere Häuserkompositionen auf dem Plan. Die Stadt eignete sich, durch ihre tiefen Straßenschluchten hervorragend, um den Aufbau von Perspektiven mit Hilfe von schlichter Flächenkomposition zu demonstrieren. Dafür zeichnet man als ersten Schritt erst nur den Ausschnitt des Himmels und der Strasse als abstrakte Formen auf den Block. Diese beiden Binnenformen verbindet man danach durch vertikale Linien und erhält so eine gefluchtete Blattaufteilung ohne einen einzigen Fluchtpunkt bestimmt zu haben. Die Fluchtpunkte werden erst im zweiten Schritt, als Kontrollmittel verwendet.
Ein Teil der Studenten arbeitete wirklich mit Nachdruck an der eigenen Verbesserung und fragte immer wieder auf welche Weise die eigenen Zeichnungen zu verbessern wären, zusätzlich zu meiner obligaten Korrekturrund je Blatt.
Wir bemühten uns die Motive möglichst unterschiedlich im Anspruch zu wählen. Am Nachmittag führten wir die Anwesenheit von Bäumen herbei. Dies ist ein Thema, welches sich lohnt in einem eigenen Wahlfach zu behandeln.
Da Bergamo klein ist war unsere Anwesenheit inzwischen bemerkt worden. Wir wurden stetig von den verschiedensten Einwohnern begrüßt, die interessiert unser Tun begleiteten und mit Kompliment nicht sparten. Fremde Ländern gute Sitten…
Einzig vor dem besten Hotel der Stadt wollte man uns nicht sitzen sehen. Erst biss sich der Pförtner an uns die Zähne aus, er holte einen unteren Manager, um uns vertreiben zu lassen. Als dieser beim Diskutieren über Sinn und Unsinn seiner Territorialansprüche sich schließlich festgefahren hatte tauchte die nächst höhere Ebene des Hotelmanagements auf. Wir setzen uns schließlich wenige Zentimeter neben die virtuell gezogene Demarkationslinie und vollendeten unsere Blätter, als zeichnendes Prekariat vor 5-Sterne-Herberge (Cinque stelle).
Dreierlei Erlebnisse waren mir nicht neu, passieren sie immer wieder auf Zeichenexkursionen. Besonders im stolzen Spanien schlugen wir viele Schlachten mit testosterongefluteten Wärtern die zwar Scharen von Selfieknipsern dulden, aber mit dem gemeinen Zeichenblockbenutzer merkwürdige Duelle führen. Das Intermezzo vor dem Grandhotel war eher die harmlose Variante.