BERGAMO 2.0, 07-11/05/18, Zeichenworkshop
„Die Verbindung zwischen Lehrer und Schülern hat durch diese Reise auch eine gute Haltbarkeit entwickelt.“
Das Fazit des Reiseberichtes Bergamo 2017, sollte sich bei der Neuauflage des Workshops 2018 gleich morgens um kurz nach 5 Uhr, als unverzichtbare Voraussetzung für die neue Studiengemeinschaft herausstellen, noch bevor wir die Reise überhaupt angetreten hatten.
12 Studenten des Zeichenseminars waren mit mir am Flughafen Schönefeld verabredet, um wie im letzten Jahr, unsere Abreise im Morgengrauen zu starten. Einige Studenten traf ich noch vor 5 Uhr in der Haupthalle auf Bänken dösend an. Trotz dieser unwirtlichen Uhrzeit begrüßte man sich in aufgeräumter Höflichkeit. Nach und nach sammelte sich die gesamte Gruppe, wir tauschten die letzten notwendige Daten aus um zum Einchecken zu schreiten.
Da eine Reisteilnehmerin versäumt hatte Ihr Boardticket zuvor auszudrucken wurde ich mit einem Grüppchen von Studenten noch etwas aufgehalten, während die restliche Gruppe schon den Sicherheitscheck passiert hatte.
Vor uns lag ein durchstrukturierter und anstrengender Tag. Wir sollten gegen 9 Uhr in Norditalien ankommen, den ganzen Tag noch unberührt vor uns. Geplant war die Übernahme dreier Wohnungen in Bergamos Altstadt und anschließend ein erster voller Arbeitstag mit dem Zeichenblock in der engen Stadtanlage.
Auf dem Weg zur Kontrolle wurden wir verbliebenen drei Passagiere von einer Flugbegleiterin aufgehalten, die uns eröffnete, dass unser Flug heute mindestens 8 Stunden Verspätung haben würde.
Wir telefonierten die übrigen Reiseteilnehmer wieder aus dem Abflugbereich heraus und verbrachten die folgende Stunde mit dem Verifizieren der nur scheibchenweise eintreffenden Neuigkeit („wir wissen auch nichts genaues, informieren Sie später“). Von einem Verlassen des Flughafengeländes wurde uns abgeraten, für den unwahrscheinlichen Fall eines doch früher stattfindenden Startes der Maschine.
Bei einem 5-tägigen Zeichenprogramm ist der Ausfall eines ganzen Tages schlecht zu kompensieren. Weil in diesem Jahr die Exkursionswoche zudem 14 Tage früher terminiert war als im vergangenen Jahr, war der zeichnerische Stand der neuen Gruppe auf einem wackligeren Fundament als im Jahr zuvor. Einen weiteren Ausfall konnten wir uns also nicht mehr erlauben und wir beschlossen unsere Wartezeit zeichnerisch im und am Terminal zu nutzen. In Ermangelung von ansprechender Architektur blieb uns im Containerdorf Schönefeld eigentlich nur das Gelände der Autoparkplätze im Freien.
Zum Glück begann der Mai ungewöhnlich sommerlich und ein Zeichnen im Freien war problemlos möglich. Thematisch unpassend zog ich das Zeichnen von Autos als Starthema vor. Im Regelfall führe ich das Zeichnen von Autos am Ende der Reise ein, um die Architekturmotive mit zeitgenössischen Zeugnissen zu bestücken, so wie auch mit Bäumen und Menschen. Diese sogenannte „Staffage“ kann solche Blätter atmosphärisch wunderbar verwandeln, aber ohne Tücken ist die Beschäftigung mit diesen Bestandteilen der Realität in der Regel nicht. Diese an den Anfang zu setzen wirkt erst einmal zusammenhangslos.
Die Sorgen hierüber waren unbegründet, ob es nun an der „Alternativlosigkeit“ der Situation lag, oder am Konzentrationsvermögen der Studenten bleibt ungeklärt, die Zeichnungen gelangen ihnen jedenfalls recht gut.
Trotz drückender Müdigkeit waren alle gut gelaunt. Gegen 11 Uhr fühlten wir uns wie sonst nach einem ganzen Tag in der Hochschule, der Tag wollt einfach nicht enden. Wir machten eine kostspielige Mittagspause im bayrischen Biergarten, bis uns RyanAir mit Gutscheinen von 5 Euro für etwas Essbares und 5 Euro für Getränke überraschte. Ein schlauer Reiseteilnehmer hatte einen Supermarkt im Flughafen entdeckt, in dem wir unsere Bezugsscheine versuchten möglichst effizient in Naturalien zu verwandeln, die Aussicht auf einen Cafe für 4,70 Euro war wenig verlockend. Die Auswahl der Waren richtete sich nach maximaler Kosten-Nutzenabwägung, weniger nach Geschmack. Immerhin mussten wir mit den Dingen den Tag über auskommen. Erdnüsse, Kekse und Gummibärchen waren die beste Tauschwährung für viele Kalorien aus wenig Gutschein.
Wir kamen an diesem Tag, am späten Nachmittag, dann doch noch in Bergamo an, konnten unsere Wohnungen beziehen und verabredeten uns für den Abend zu einem konsolidierenden Treffen mit Aperitif. In Bergamo war auch, auf anderen Wegen inzwischen Anja Müller eingetroffen, die uns in Bergamo unterstützen sollte. Sie war zu Lande so schnell gewesen, wie wir in der Luft.
Der erste Tag war als skizzierender Stadtrundgang angelegt. Die Blätter waren extra klein gewählt. Lebendige Lichtskizzen waren unser erster Schwerpunkt. Schnell sollte es gehen die steilen Perspektiven zur Blatteinteilung zu nutzen. Die dramatischen Lichteinschläge der Sonne in die engen Gassen gaben klare kontrastreiche Strukturen vor. Die Perspektive bereitete vielen noch grundlegende Schwierigkeiten, aber das ordnende Licht half allen die Blätter zu komponieren. Im Wintersemester trainierte Sehgewohnheiten, die die Blattaufteilung unterstützen helfen sollten, wurden auf den Aussenraum übertragen. Am Nachmittag zeichneten wir das erste größere Blatt.
Ich selbst bemerkte an mir eine etwas gehemmte Motivation Bergamo mit dem Bleistift zu bannen, denn der zeichnerische Aufenthalt im letzten Jahr hatte mir nicht mehr viel Raum für zeichnerische Entdeckungen übrig gelassen. Einmal gelöste Situation ein zweites Mal zu zeichnen ist ein eingeschränkter Genuss. Sowohl das erklärende Vorzeichnen ist authentischer als auch die Begeisterung am Unterrichten, wenn ich selbst die Situation mit dem ersten „Jägerblick“ erlebe. Ohne es die Gruppe merken zu lassen suchte ich also liegen gebliebene Motive der letzten Saison. Davon gab es dann erfreulicher Weise noch ein paar zu meistern.
Auffällig war, wie immer, dass es ganz wichtig ist nur selten längere Zeichnungen zuzulassen und Wert auf die Kurzskizze zu legen. Geist und Hand ständig in Bewegung zu halten durch schnelles Entscheiden lernen, ist der Schlüssel, um eine schnellere Erfolgskurve beim Zeichnen zu erreichen.
Ein weiterer Baustein zum Erfolg war die Beschäftigung mit Schraffur und Richtung. Besonders die extremen Schlagschatten verführen den Beginner nur zu gerne dazu den Formen der Schatten die Schraffurrichtungen anzupassen, ohne zu merken, dass Schatten natürlich durch den beschatteten Untergrund dargestellt werden und nicht eigenstoffliche Gebilde sind. Aber gerade diese sehr einleuchtende Erkenntnis beschleunigt die Einsicht, dass Schraffuren ihren Untergrund formen und nicht nur heller oder dunkler machen sollen.
Am Zweiten Abend unsere Aufenthaltes hatte sich die Gruppe etwas Schönes einfallen lassen. Ein Student aus dem Irak schlug uns vor für alle etwas heimatliches zu kochen. Seine Wohnungsgenossen/innen halfen den Tag über die Liste zu besorgen.
Diese gelebte Gastfreundschaft tat der Reise ausgesprochen gut. Als Frau Müller und ich pünktlich in der Studenten WG eintrafen war dort schon alles festlich dekoriert, auf einer langen Tafel standen Schüsseln mit Reis und ein Eintopf aus Huhn, Zitrone und Gemüse duftete einladend. Die Servietten war apart gefaltet und den Wein hatte man in weisse Schärpe gehüllt. Die durch den gedrängten Unterricht in der Hochschule sich nie wirklich nivellierende Distanz zwischen Studenten und Lehrkörper baute sich in diesem Rahmen zum Nutzen aller ab. Eigentlich bemerkten wir auf beiden Seiten, wie wenig wir uns bisher kannten.
Am dritten Tag wanderten wir raus aus der Altstadt, um in der Unterstadt zeitlich nähere städtebauliche Situation zu zeichnen. Ich bemerkte an mir schon eine mechanische Routine die Winkelgassen mit Licht und Schatten flott zu zeichnen und suchte neuen Input.
In der moderneren Unterstadt sind die Stadträume wesentlich weiter angelegt, als innerhalb der Stadtmauern. Die oft variierte Zentralperspektive in der engen Altstadt wandelt sich hier in Perspektiven mit 2-3 Fluchtpunkten. Das Gebäude als Solitär kommt als Motiv hinzu.
Der Städtebau des italienischen Faschismus war ein zeichnerisch wirkungsvoller Kontrast zum mittelalterlichen Stadtraum zuvor. Kolossalarchitekur, Imperialer Gestus, die Skalierung eines Objektes zur Monumentalität und das Verstehen der Ursachen dafür. Es entdeckte uns ein Redakteure der Tageszeitung der Stadt. Parallel zum Unterricht führte er mit mir ein sehr langes Interview, welches offenbarte, dass er von Architektur, Zeichnung usw. eigentlich nichts wusste und deshalb die Tatsache so erstaunlich empfand, Menschen mit Bleistift anstatt Handy zu sehen. Er versprach uns einen Artikel in der Wochenendausgabe. Um ehrlich zu sein glaube ich, dass meine Mühen ihm Zeichnen, Bauen, Bauhaus zu erklären nie zu einem Artikel geführt haben.
Die Tage waren geprägt durch konzentriertes Zeichnen von 9 bis ca. 17 Uhr, inkl. einer kurzen Mittagspause. Danach hatten alle genug Zeit zum Einkaufen, Kochen und Herumlaufen. Das Zusammenspiel von gemeinsamen Unterrichtseinheiten auf der einen Seite und selbstständig zu nutzender Zeit auf der anderen Seite war für das intensive Erleben der Reise sinnstiftend.
Wir begingen den letzten Tag mit liegen gebliebenen zeichnerischen Themen, bis zum Mittag waren wir fertig. Danach trafen wir uns in der Loggia der Bibliothek, um unsere Zeichnungen auszulegen. Die vielen, grafisch kräftigen Zeichnungen geballt zusammen auf dem schönen Steinboden, in der eleganten Säulenvorhalle zu sehen machte einen starken Eindruck. Nun zeigte sich der große Fortschritt, der innerhalb der wenigen Tage erzielt worden war, selbstverständlich beeinflußt von der Schönheit der Motive, aber auch vom engagierten Einsatz der Studenten.
Die Reise hatte fast allen einen beachtlichen Schritt voran beschert. Erlebnisse wie dieser Workshop gehören zu den Momenten, an die man sich erinnert, wenn man an sein Studium denkt.
Bergamo hingegen, ein Ort in dem uns in der Altstadt nun schon ein beachtlicher Teil der Anwohner persönlich kennt, hat für die nähere Zukunft ausgedient. So leicht sich Bergamo für wenig Geld erreichen läßt und so geeignet es zum Zeichnen ist, die zwei zurückliegenden Workshops haben die Stadt nun zu genau kartographiert, um dort erfolgreich erneut zu zeichnen.
Aber, ein neues Ziel zeichnet sich schon ab und wird wahrscheinlich im nächsten Jahr ausprobiert werden.