Die Petruspforte für die Schlosskirche in Varel wächst

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Die Petruspforte für die Schlosskirche in Varel wächst

Blogbeitrag, klick hier:

Sommer 2022. Das Portal für Varel wird jetzt realisiert!

Präsentationsvideo zum Thema:

Video zum Portal

Vorgeschichte

2014 gewann ich einen Bildhauerwettbewerb in der Nordseestadt Varel. Die dortige Schlosskirche benötigt eine Gestaltung ihres provisorisch angelegten Westportals. Dort wurde in den späten 60er Jahren, im Rahmen der Sanierung der Westtürme auch ein temporär zu verstehendes Westportal eingebaut.

Historisch gesehen verfügte die Schlosskirche nie wirklich über ein Westportal, denn an die Kirche schloss im Westen eine Burg, später Schloss baulich direkt an. So entwarf man in den 60er Jahren dort eine neoromanische Granitlaibung. Die Portalöffnung wird durch einen tief liegenden Kämpfer unterbrochen, der wieder mit einer Granitplatte verkleidet ist. Der tiefe Kämpfer war notwenig geworden, da man die Türme unten mit einem Betonkorb sichern musste und somit die Durchgangshöhe des Portals einschränkte.

Das Ergebnis ist eine quadratische Holztür unter einem zu tiefen Sturz. Um diesen Missstand zu beseitigen lobte die Gemeinde der Schlosskirche Varel 2014 einen eingeladenen Wettbewerb aus. Diesen Wettbewerb gewann ich mit meinem Entwurf. Thematisch sollten die Teilnehmer sich mit der Gestalt des Petrus auseinandersetzen.

Im Frühjahr diese Jahres erschien im „Das Münster“ ein ausführlicher Artikel des Kunsthistorikers Dr. Ponert. Ponert „entdeckte“ den immer noch nicht realisierten Portalentwurf bei Recherchearbeiten zum barocken Bildhauer Münstermann in Varel. Die Schlosskirche verfügt über prominente Werke dieses manieristischen Bildhauers. Ponert entschloss sich spontan einen Artikel zu meine Portalentwurf zu veröffentlichen. Seit 2014 wird in Varel der Wunsch verfolgt dieses Portal für die Schlosskirche durch mich realisieren zu lassen. Bisher waren jedoch die Finanzierungsversuche der Gemeinde noch nicht einträglich genug, um die überschaubare Bausumme aufzubieten.

 

Inzwischen, auch Dank des klugen Artikels, kommt wieder Bewegung in das Projekt. Ein Antrag beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur ist gestellt.

Das Münster, 1/2019, 72. Jahrgang    B 20329  ISSN 0027-299X

 

Bedeutende zeitgenössische Kunst mit zeitgemäßer Botschaft für eine große Stadtkirche

Dietmar J. Ponert

Der Hahn kräht draußen in aller Öffentlichkeit. Er sitzt zwar über der Kirchentür und  macht sich damit stark für das, was die Macht in Politik und Gesellschaft „unsere christliche Wertegemeinschaft des Abendlandes“ nennt, doch tönt sein schriller Schrei bis auf die Knochen, weil er eben ganz dicht dabei sitzt, wo drinnen die Lehre Jesu Christi verlesen wird und jeden Sonntag traditionsbewußt gehört werden kann. Denn es ist der frei flatternde Hahn aus jener Szene der Passionsgeschichte, in der erzählt wird, daß er kräht, nachdem Petrus, der eifrigste Bekenner dieser Werte, seinen verehrten Lehrer Jesus, dessen Anliegen und damit sich selbst, aufs nachhaltigste sich wiederholend, verraten hat. Der Hahn sitzt im sichtbarsten Mittelpunkt eines Kirchenportals, das zunächst erst in Entwürfen Gestalt angenommen hat; aber schon in diesen Modellen solchen Eindruck auf den still betrachtenden Menschen wie den analysierenden Kunstwissenschaftler macht, daß darüber schon jetzt berichtet werden soll.

So wie Petrus im Jahre 33 sind wir heute auch zweitausend Jahre später immer noch allesamt angesprochen, ja werden wir zu unserem eigenen Schrecken von diesem Hahn gellend angeschrien, die wir vorbeikommen, damit wir uns unseres eigenen täglichen Verrats an den vorgeblichen Wert-Maßstäben bewußt werden und uns dessen hoffentlich auch schämen.

I.

Die alte Send- und Gau-Kirche in Varel wurde um die Mitte des 12. Jahrhundert als Saalbau mit Apsis erbaut, in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts um einen Westriegel als Unterbau einer Doppelturm-Fassade bereichert, danach dreijochig eingewölbt und um 1450 mit Querhaus, Vierung und gerade geschlossenem Chor erweitert. Die aufgehenden Mauern wurden mit Granit-Quadern errichtet, die gebusten Kreuz-Gewölbe mit Ziegeln aufgeführt. Ob es im Westriegel ein Portal gab oder gar, wie dieses aussah, ist unbekannt.

In seiner beeindruckenden Größe und Schönheit steht das Bauwerk in der Region einzig dar.

Vergleichbare Kirchbauten im Oldenburger Land zeigen Eingänge von Norden und Süden in das Langhaus, vermutlich weil vor der Westwand ein Turm errichtet wurde, der für eine erschließende Turmhalle nicht vorgesehen war und somit einen Zugang von dieser Seite versperrte.

Die Vareler Kirche wurde dann im 16. und 17. Jahrhundert in die im Westen und Süden entstehenden Burg- und Schloßbauten als Residenz der Grafen von Oldenburg-Delmenhorst einbezogen; und obwohl diese schon im 19. Jahrhundert gänzlich abgerissen wurden, hat sich offenbar erst danach die populäre Bezeichnung „Schloßkirche“ eingebürgert.

Nach der Sanierung des Westriegels der Vareler Petri-Kirche und der Wiederherstellung seiner dreijochigen Turmloge in den Jahren 1984 – 1994 wurde auch ein repräsentatives Mittelportal mit rundbogig-dreistufiger Laibung aus Granitblöcken als neuer Haupteingang in den Kirchenraum erstellt. Die darin eingefügte schlichte Holztür kann nur als ein der architektonischen Vorgabe unangemessener und vorübergehender Notbehelf angesehen werden.

Vielmehr eröffnet sich nunmehr die Möglichkeit, für die Schloßkirche St.-Petri in Varel ein neues Portal zu schaffen, welches der Tradition folgend, der neu geschaffenen monumentalen Architektur entspricht und der historischen wie kunsthistorischen Bedeutung des Bau- und Glaubens-Denkmals würdig ist. Denn das Innere des Kirchenraumes bewahrt eine der großartigsten Ausstattungen des berühmten manieristischen Bildhauers Ludwig Münstermann[4], deren Höhepunkt sich im gewaltigen Altar vor der durchfensterten Chorwand im Osten erhebt. Somit liegt es nahe, auch den Eingang und den Anfang des Weges durch den Sakralraum, von der Turmhalle durch Langhaus, Vierung und Chor, bis hin zum Münstermann-Altar, diesem vorgegebenen Anspruch entsprechend, mit künstlerischen Mitteln der zeitgenössischen Skulptur zu gestalten.

In diesem Bewußtsein ergriffen engagierte Mitglieder der Gemeinde rund um Kirchenrat und Kirchbauförderverein der Petri-Kirche Varel die Initiative und baten ausgewählte Bildhauer um entsprechende Entwürfe. Vorgegeben war allein das ikonographische Thema: die Geschichte des Apostels Petrus, dem die Schloßkirche geweiht ist.

Der eingereichte Entwurf des in Potsdam lebenden Bildhauers Carl Constantin Weber, ausgeführt in Text-Konzepten, Photomontagen, Zeichnungen, Bozzetti und Modellen war mit großem Abstand der eindrucksvollste und hat mit seiner künstlerisch überwältigenden Überzeugungskraft den einhelligen Wunsch der Auftraggeber spontan entstehen lassen, eben diesen zu verwirklichen und die nötigen Geldmittel dafür einzuwerben.

An dieser Stelle gilt es, die besondere Bedeutung des Weber-Entwurfs in seinen bildhauerischen Motiven nach ihren formalen Lösungen und inhaltlichen Formgebungen im Einzelnen und im Zusammenhang darzustellen und in ihrem künstlerischen Rang zu würdigen.

II.

Schon der konstruktive Aufbau des gesamten Portals zeigt in seiner Anverwandlung mehrerer durch den vorhandenen Rohbau verursachten Bedingungen die künstlerische Phantasie und skulpturale Gestaltungsfähigkeit des Bildhauers in charakteristischer Weise:

Das Tympanon des neuromanischen Portal ist nicht, wie üblich, halbkreisförmig, sondern wird nach unten vergrößert durch einen in Kämpfer-Höhe aus statischen Gründen eingesetzten Stahlbeton-Balken. Weber schöpft daraus die Möglichkeit zu einer Verstärkung der plastischen Kapazität des Tympanon-Reliefs in Höhe und Tiefe. Damit wird  an dieser wichtigsten Stelle der gesamten Portalkomposition eine unerwartete körperlich-bewegte Kraft wirksam, welche den darunter Eintretenden ganz in ihren Bann schlägt. Auf den hier bewußt geschaffenen Fokus der Bildinhalte mit ihren Gestaltungsenergien ist später zurückzukommen.

Denn für diesen Ort ungewöhnlich, schließen sich dem dreistufig-gequaderten Gewände des steinernen Portals nach innen eingezogene tiefe senkrechte Laibungen an, welche durch die besondere Mauerstärke des Westriegels bedingt sind. Weber belegt diese sich oben und seitlich breitenden Flächen mit rhythmisierten Relieftafeln. In der Zusammenschau mit den durch die innere Einziehung der Laibungen in weiterer Aufschrägung zu öffnenden Türflügeln und ihren eigenen Reliefdarstellungen wird eine ganz ungewöhnlich plastisch-dynamische Wirkung ausgelöst. Denn diese einladende Öffnung umfängt den Eintretenden wie mit einem Sog zur Mitte hin, der hineinführt in den inneren Gang des Kirchenraumes bis hin zum Münstermann-Altar mit seinen prächtig gerahmten und ebenso kunstvoll gestalteten Reliefs als End- und Höhepunkt des Weges.

Allein diese aus den schlichten Vorgaben eines Rohbaus sich schöpferisch in Fülle der Motive entfaltende Gestaltungs-Idee ist von bezwingender Aussagekraft, weil sie der künstlerischen Potenz der Münstermann-Kunstwelt eine zeitgenössische bildhauerische Position ganz eigener aber adäquater Sprache antworten läßt. Zudem stellt sie noch eine Funktion bereit, welche bisher vollkommen fehlte und schmerzlich vermißt wurde: Sie eröffnet einen würdigen und künstlerisch gleichgewichtigen Zugang, eine adäquate Pforte zum Reich des Ludwig Münstermann.

Carl Constantin Weber gliedert die Flächen der Türflügel innen wie außen in je vier querrechteckige Gefache übereinander, zur Laibung des Durchgangs hin können sie auf dieser wechselnd mit in den Mitten jeweils in zwei zusammengefaßten hochrechteckigen Bild-Feldern wechseln. Beeindruckend ist die sensible Gewichtung von stärker hervorspringenden aktionsbestimmten Motiven mit solchen von ruhig und weichflächig auch Leere umfassender Gestaltung. Hier überzeugt eine souverän das Ganze mit Entsprechung und Ausgewogenheit in Positiv und Negativ der Plastizität komponierende

bildhauerische Hand.

Um des Künstlers eigene bildnerische Sprache auch im Detail zu verstehen, gilt es ihre Aussagen in den unterschiedlichen Gestaltungen der Bildinhalte zu erkennen.

III.

Das Thema der Petrus-Geschichten, verbunden mit der Person des Apostels als dem Grundfels der Kirche Jesu Christi, ist nicht unbedingt ein Naheliegendes für lutherische Kirchengemeinden, schon gar nicht in der Zeit der Reformationsgedächtnisse. Aber in Varel geht es ja um den angestammten Kirchenpatron, welcher auch im Münstermann-Altar von 1614, der ein höchst differenziertes theologisches Programm aufführt, ganz bewußt seinen Repäsentations-Platz erhalten hat.

In der Anordnung der einzelnen Reliefs durch Weber ist offenbar keine illustrative oder narrative Abfolge zum lediglich ablesbaren Verständnis der biblischen Berichte beabsichtigt; eher wird ein spontanes Vorwissen um die jeweilig behandelte Szene beim Betrachter vorausgesetzt, damit dieser sich, konfrontiert mit dem Wiedererkennen des Inhalts, durch die expressive Aussage der künstlerischen Umsetzung des Themas unmittelbar berühren läßt. So wechseln die Sichtweisen und die Gesichtspunkte und mit ihnen die Proportionen der Darstellungen untereinander in ihrer jeweiligen Zuordnung.

Ganz auf unverstellte Nahsicht angelegt sind „Malchus‘ Ohr“ (Johannes 18, 10-11) und „Tempel-Zinsgroschen“ (Matthäus 17, 24-27):

In der Szene bei der Gefangennahme Jesu erscheinen die Köpfe der Handelnden übergroß im Bildausschnitt und sprechen den Betrachter in expressiver Direktheit an. Wie aus dem Off schlägt das kurze Schwert des Petrus diagonal hinter das Ohr des Knechtes; dessen entsetzt aufgerissene Augen und der schmerzverzerrte weit geöffnete Mund beherrschen wie ein Schrei den Ausdruck seines gerundeten Gesichtes. Nicht der böswillige Gehilfe des Verräters Judas wird sichtbar, sondern das Gesicht eines schlichten, leidenden und Mitleid erheischenden Menschen sucht den wahrnehmenden Anblick des Mitmenschen.

Im Zinsgroschen-Dialog begegnen sich Jesus und Petrus gleichgewichtig nebeneinander; beider Arme und Hände sind heftig redend bewegt, gleichsam, um die in der Mitte sichtbare Münze in der Schwebe zu halten. Offenbar hat Petrus, den Blick leicht zum Bildraum hin abgewendet, soeben den römischen Stater dem Maul des Fisches entnommen, den er auf Jesu Befehl gefangen hatte, um damit die Tempelsteuer zu entrichten. Der Jünger scheint vom erlebten Wunder derartig überwältigt zu sein, daß er die Rede des Meisters kaum noch wahrnimmt. Aber Jesus spricht bestimmt und auf ernste Weise, mit klar geöffnetem Blick und beredtem Mund von der Steuerfreiheit der Söhne Gottes, zu denen seine Person und damit auch Petrus gehört. Dem Jünger ist jetzt schon nicht mehr bewußt, daß er erst kurz zuvor Jesus als Christus, den Sohn des lebendigen Gottes bekannt hat. So verkündet Jesus seine Wahrheit eher dem nahen Betrachter zur eigenen Gewissens-Erforschung.

Im Rahmen vielfiguriger Szenen wird das eigentliche Geschehen wie in einer Vergrößerung in die Nähe gerückt:

Von der Gruppe der „Fußwaschung“ (Johannes 13, 2-17) sind in ganzer Figur lediglich der wie in zwiefacher Melancholie-Gebärde die Hände zu den Wangen erhebende, hockend zusammen gesunkene Petrus sichtbar. Er kehrt sein in peinlicher Scham vergrübeltes Gesicht voll dem Betrachter zu, um nicht wahrnehmen zu müssen, daß der vor ihm knieende Jesus, wie in Andacht sich ihm zuwendend, seinen Fuß hoch über das Wasserbecken hält. Diesem konzentrierten Blick auf das bewegende geistliche, gleichsam stumme, Zwiegespräch gegenübergesetzt, erscheint die Reihe der noch anwesenden übrigen Jünger nur, wie ein Echo fragmentiert, in den Hintergrund gerückt.

Den symbolhaften Ereignissen auf dem See Genezareth gibt Weber eindrucksvolle Gestalt:

Das Wunder des „Fischzuges“ (Lukas, 5, 1-11): Eine glatte Wasserfläche isoliert das plastisch geformte Boot mit zwei in heftiger Anstrengung darin hockenden Jüngern, welche in einer einzig dominierenden, schräg nach unten gefächerten Diagonale das riesige Netz aus dem Wasser ziehen, das mit seiner zerreißenden Fülle den unteren Rand des Reliefs überbordet.

Wunderbar in Breite und Tiefe ausgewogen komponiert ist das „Wandeln auf dem Meer“ (Matthäus 14, 25-33): Fast bis zur halben Bild-Höhe zittern die gischtigen Schaumkronen der Wasserwellen, links darüber in eindrücklicher Größe Jesus mit weit nach vorne ausgebreiteten Armen, ganz rechts weiter im Hintergrund der Bug des Kahnes mit den Jüngern. Petrus als mächtige Rückenfigur seitlich von der Mitte im Vordergrund. Schon ist er bis zur Hüfte im Wasser versunken, wild erhoben rudern die Arme hilfeflehend auf Jesus zu, welcher mit weit ausgestreckter Linken dem Sturm Einhalt gebietet und zugleich mit seiner Rechten ein erhebendes Zeichen für Petrus vollführt.

Des weiteren „Gethsemane“(Matthäus 26, 36-46): Von der Mitte zum Vordergrund ist die blanke Fläche eines Halbkreises ausgespart; im Hintergrund ragt auf eine Begrenzung aus Bäumen und Felsen. Davor kniet links hinten Jesus, aufgewühlt auch das Gewand, im heftigen Gebet. Doch diagonal über die leere Fläche hin ausgebreitet und stark plastisch erhöht nach vorn liegt der massige Körper des Petrus; sein Gewand rutscht hinauf bis über die nackten Knie, der üppig belockte Kopf verbirgt das Gesicht in den überkreuzten Oberarmen; sein Schlaf ist so übermächtig, daß sich die Unterarme weit über die untere Bild-Grenze hinaus schieben und die linke Hand sich gegen diesen schweren Schub sogar am oberen Rand des Reliefs darunter abstützen muß: Petrus fiele alsbald aus dem Rahmen heraus, muß der Betrachter fürchten.

Bemerkenswert ist der breite schräg nach oben gerichtete Streifen gähnender Leere in der Mitte des Reliefs mit der „Berufung“ (Matthäus 4, 18-20): Links oben liegt der aufgerichtete Bug eines Fischerkahnes im Ufersand des Sees Genezareth, rechts vorn bewegt sich eine Gruppe sich  aneinander haltender Jünger mit großen Schritten aus dem Bildfeld hinaus. Petrus, in leicht geduckter Haltung als Letzter, blickt zurück, hält aber schroff die abweisende rechte Hand in Richtung Vergangenheit. Drei große Trittsteine fallen auf, die vom Schiff auf den Strand geleiten: als sinnfällige Aufforderung an den Betrachter, es den Jüngern Jesu gleichzutun.

Die Darstellung des „Bekenntnisses“ (Matthäus 16, 13-19) ist mit großer plastischer Gestik und kraftvoller Dynamik gestaltet: Das linke Drittel wird von der voll aufgerichteten Person Jesu beherrscht, seine rechte Hand ist lehrend und segnend erhoben. Aus der rechten Hälfte schiebt sich mit voller Wucht die gegliederte Masse der Jüngergruppe keilförmig in den Vordergrund. In der Mitte isoliert, beinahe noch vor der Rampe bewegt sich mit ausgreifendem Schritt weg von den Gefährten in voller Richtung hin auf Jesus der kurzgewandete Petrus. Seine ausgestreckten weit geöffneten Arme wollen den erkannten und zu bekennenden Christus umfassen, allein die mit gebietender Gebärde nach unten ausgestreckte Linke Jesu hält ihn von solcher unangemessenen Vereinnahmung zurück. Die Motive von Fels-Allegorie und Schlüsselgewalt jedoch, welche der Szene in Folge erwartungsgemäß zugeordnet werden, bleiben dieser eindrucksvoll deutlichen, symbolhaften Geste unterworfen.

Wenige Darstellungen von Figurengruppen in großen Innenräumen, wie „Pfingstwunder“, „Urgemeinde in Jerusalem“, „Apostelkonzil“ oder „Urgemeinde in römischen Katakomben“ sind für die Rückseiten der Türflügel und die Mauer-Laibungen dahinter vorgesehen. Sie arbeiten mit sehr differenziert gestalteten Figurationen, die in entsprechenden Beziehungen zu zentral gefaßten Architekturen in monumental-allegorischen Formen gesetzt sind. Arkaden und Gewölbe schaffen dabei illusionistische, perspektivisch akzentuierte hoheitsvolle Räumlichkeiten, wie sie gewichtige Szenen auch bei Ludwig Münstermann umgeben und in ihrer Bedeutsamkeit charakterisieren. Bei geöffnetem Portal können jene aus der Ferne assoziiert werden.

IV.

Im Abstand zur Detail-Betrachtung ist unbedingt hervorzuheben, daß die Gestaltungabsicht des Bildhauers jede der im einzelnen beschriebenen Bildschöpfungen in ein Zusammenwirken im Ensemble der wechselnden Ansichten von Außenseite des geschlossenem Portals oder der geöffneten Türflügel mit den engführenden Laibungen einzufügen gedenkt, und daß ihre gelungene Verwirklichung eine bezwingend beeindruckende Wirkung erzielt:

Ein dicht gespanntes kompositorisches Netz von dynamisch bewegten und reich motivierten Strängen überzieht die einzelnen Gefache in ihrer streng gefügten Ordnung als Ganzes und bezieht sie virtuos verbunden aufeinander: dramatische Höhen und beruhigte Tiefen, skulpturale Drängungen und plastisch-spannungsvolle Lücken stehen in Korrespondenz, in Parallele oder Antagonie. Der dynamischen Wirkungskraft der Bildsprache des Carl Constantin Weber kann der Betrachter sich nicht entziehen.

V.

Den sinnvollen Höhepunkt des bildhauerischen Entwurfs für die Vareler Petruspforte stellt das Tympanon dar. Sein Bogen überfängt zwei zentrale Szenen der Petrus-Geschichte, die „Verleugnung“ (Matthäus 26, 69-75) und die „Kreuzigung“ (Petrusakten). Den Halbkreis teilt eine senkrecht geführte tektonisch-symbiotisch gebildete Architektur-Gliederung in zwei ungleich breite Aktionsräume: Im schmaleren linken springt von der hinteren Außenseite her eine Wand des Kaiphas-Palastes mit scharfkantig zugespitzter Mauerecke bis auf das Äußerste in Richtung Mitte vor. Im sichtbaren engen Teil des Hofes drängen sich gestaffelte Menschengruppen, doch vor diesen im Mittelgrund steht die Magd; den fülligen Leib mit beiden breit gestellten Beinen aufgepflanzt, den Rücken zum Schrei bogig gespannt, zeigt sie mit gerade ausgestrecktem Arm und Zeigefinger zur Mitte hin in Richtung des erkannten Petrus. Dieser flieht eilends in entsetzter Bestürzung mit erhobenen Händen, der weite Schritt seiner bloßen Füße überquert schon das nach unten abgrenzende Basisgesims, und auch die schneidend-scharf gesetzte Mauerecke, die er schmerzlich  in seinem Rücken fühlt, stößt seinen schon exponierten Körper aus dem Bildraum heraus. Allein vor ihm auf einer Konsole über dem Türanschlag steht einzig frei die lebendig bewegte Figur des in seine Richtung gräßlich krähenden Hahnes.

Von der genannten Mauerecke setzt in die andere Richtung nach rechts an das beeindruckende Rund des römischen Collosseums, um den Ort des legendären Martyriums Petri zu bezeichnen. Mit seinen gestuft ansteigenden Rängen über niederen Plankenwänden und luftig in der Höhe geführten Galeriebögen schwingt es in wirbelnd-kreisender Torsion in die Tiefe um den Kraftort in der Mitte zu bezeichnen, auf welchem in gewaltiger Schräge von rechts oben nach unten das Kreuz mit dem überkopf darauf befestigten Körper des Petrus errichtet wird. Die beiden zu den bloßen Beinen des Apostels gegengewichtig gesetzen Schrägen werden von zwei sich kraftstützend erhebenden Knechten gebildet, welche den senkrechten Kreuzbalken in Position bringen wollen. Dem sich krampfhaft nach oben aufbeugenden Haupt des Petrus sich zuwendend, steht an der Mauerspitze die ruhige Gestalt eines segnenden Greises.

Dieses geradezu überwältigende Motiv einer in den Focus einer kreisend sich bewegenden, perspektivisch illusionistisch aufgebauten Architektur gewaltig schräg gestellten Diagonale muß über dem Portal einer Münstermann-Kirche unbedingt an die Gestaltungsprinzipien dieses manieristischen Bildhauers erinnern und ist diesen gleichgewichtig an die Seite zu stellen. Für seinen Ort verwirklicht, hielte die Petruspforte von Carl Constantin Weber von heute den Werken des Ludwig Münstermann von 1613 – 1618 die Waage.

VI.

Die analysierte Bildsprache, in der die Petruspforte des Bildhauers Weber für die Schloßkirche in Varel formuliert ist, mit ihren sinngebenden Vokabeln und ihrer verständlichen, unmittelbar berührenden Zeichengebung für den Betrachter, hat im Land Niedersachsen eine bedeutende Parallele: es ist die mittelalterliche Hildesheimer Bronzetür. An dieser werden immer wieder als einzigartig die Gestaltungselemente einer tiefschichtigen, emotionalen und symbolhaften Deutungsebene gerühmt, und solche kennzeichnen mit gleicher Intensität die im einzelnen beschriebenen Entwürfe Webers.

Mit ihrer Ausführung stände ein zeitgenössisches Werk der Bildhauerkunst, ein Kirchenportal von heute, auf dem gleichen künstlerischen Niveau wie eines aus der Zeit des Mittelalters, beide aber von regionalem, nationalem und europäischem Rang.

VII.

Dazu gilt es, die unverkennbaren theologischen Implikationen und Intentionen des Bildhauers Weber anzusprechen: Gestalt und Geschichte des Petrus als Leitthema oder Begleitfigur für Kirche und Gesellschaft heute. Schließlich ist die Pforte zu größten Teilen auch von außen zu sehen, ohne daß man in die Kirche geht; und die tiefer gehende Symbolkraft der Erzählungen über Petrus sind für den Umgang mit den Manifestationen unserer Menschlichkeit heute für uns alle und auch für den Protestantismus von großer Bedeutung. Allein die Wandlungen, welche das Papsttum im letzten halben Jahrhundert erfahren hat: Der Autor hat als Lutheraner die Amtsträger von Pius XII. bis zu Franziskus schon selbst erlebt; aber einen Papst, der, wie keiner vor ihm, eigene Fehler bekennt und sich für diese schämt und um Vergebung bittet, erst heute.
So vermöchte der immer wiederholte Eintritt in die Vareler Schloßkirche St.-Petri durch diese Petruspforte, dem Menschen über seine Augen vors Gemüt führen, wie nahe Bekennermut und Zugehörigkeitsstolz, Erwähltheitsbewußtsein und Erfolgsgefühl benachbart sind dem eigenen Versagen im Egoismus, in Feigheit und Lieblosigkeit, dem Verrat eigener oder fremder Befindlichkeiten, in nicht eingestandenen Fehlern und Bösartigkeiten. Auch lernen wir durch Betrachtung dieser Bildwerke, daß Jesus zwar vergibt, und daß man ihn darum bitten kann; aber  besser wäre es, wenn wir den von uns gekränkten oder verratenen Mitmenschen selbst um seine Vergebung bäten:

Denn der Hahn kräht über jedem Eintretenden, über dem Weltkonzernchef und der Bundeskanzlerin wie dem Asylsuchenden und der Obdachlosen.

 

[1]Ich danke Tom O. Brok, Pastor und Freund, herzlich für ermutigend motivierende Gespräche.

[2]Wilhelm Janssen: Die Schloßkirche Varel und ihre Baugeschichte. Oldenburg 1986. Neue Überlegungen auf Grund genauerer Interpretationen der Befunde zielen auf eine sehr viel frühere Datierung dieser Erweiterung.

[3]Wolfgang Runge: Kirchen im Oldenburger Land. Band I – III. Oldenburg 1983-1988.

[4]Dietmar J. Ponert / Rolf Schäfer / Tobias Trapp: Ludwig Münstermann. Der Meister – die Werkstatt – die Nachfolger. Bildhauerkunst des Manierismus im Dienste lutherischer Glaubenslehre in Kirchen der Grafschaft Oldenburg. Band I (Text), Band II (Tafeln). Oldenburg 2016.

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